Bahnbrechend

(Alternativtitel: Die Bahn in den Zeiten der Wiesn.)

Berlin

Das Zug fahren zur Oktoberfestzeit hat seinen ganz eigenen, naja, ich nenns mal Charme. Zum einen ist es schon mal völlig egal, wo und wann in Bayern man in einen Zug einsteigt, der Richtung München fährt, es wird immer ein großer Teil der Bahnreisenden in Dirndl bzw. Lederhosen unterwegs sein. Die Anzahl der Trachtenträger steigert sich dann mit zunehmender Nähe zu München und erreicht am Hauptbahnhof dann knapp unter 100%. Mit den mitgebrachten Bierkästen verhält es sich umgekehrt.

Der Regionalexpress München - Regensburg verbreitet beim Einsteigen den ganz eigenen Duft, den nur verschüttetes Bier in Kombination mit kalten Kippen und Ausdünstungen von Bierleichen erzeugen können. Im Abteil stehen mehrere leere Kästen Paulaner Oktoberfestbier, die Flaschen liegen zwischen Zigaretten auf dem Boden verteilt rum, große Flecken unbekannter Herkunft zieren das Ganze.

Einen Tag später rast der ICE Nürnberg - Berlin mit 250km/h durch die neuen Bundesländer. Es gibt überraschend viele zerfallene Gebäude zu sehen, auf der ganzen Strecke. Die alten Betriebsgebäude werden auf fast jedem Bahnhof sich selbst überlassen, stürzen teilweise ein. Manche schreien danach, fotografiert zu werden...

Nach knapp 5 Stunden fährt der ICE im Untergeschoss des neuen Berliner Bahnhofs ein. Der zum großen Teil von Bund und Berlin bezahlte Glasbau bemüht sich Hauptstadt-Charme. Vier Stockwerke darüber fahren die S-Bahnen ab. Dazwischen sind zwei Etagen mit den üblichen Ladenketten. Einen Ticket-Automaten muss ich lange suchen, einen U- und S-Bahn-Plan suche ich vergeblich.

Ein paar Tage darauf, in einer Regionalbahn abends aus München raus: Wie jedes Jahr ist die Bahn wieder von der Wiesn überrascht worden, die Züge sind bis auf den letzten Stehplatz voll. Nach 10 Minuten Fahrt sind die Fenster von den Bierausdünstungen der Wiesnbesucher beschlagen. Die Stimmung hat noch Reste von Bierzeltatmosphäre - zumindest bis nach den ersten Bahnhof. Mehrere Weichen und Kurven lassen gefährlich viele Lederhosenträger um mich rum sehr, sehr blass werden. Das Toilettenlicht bleibt durchgehend rot.

Der dritte, der sich mit vor dem Mund gehaltener Hand Richtung besetzter Toilette durch die Menge boxt, schafft es nicht mehr - und kotzt mir vor die Füße und meiner Sitznachbarin auf die Jacke. Das nennt man dann wohl bahnbrechend.







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Zuletzt aktualisiert: 26. Okt, 15:52


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